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Tratschundlaber

Sonja Wenger – Ich weiss, Halleluja, Weihnachten ist vorbei, die heilige Zeit der pathetischen Rückblicke und prophetischer Ausblicke, aber ich muss einfach: Es war Freitag, der 22. Dezember, die Kinderlein sangen, die Kassen klangen, da fand sich in «Heute» ein Bild von Victoria Beckham mit dem Titel: «Neue Kugeln für den Weihnachtsbaum? Dient ihr BH als Einkaufskorb oder war sie wieder mal beim Chirurgen.» Wow! Ich meine…WOW!


Beckham rechts: war sie wieder mal beim Chirurgen?

Überall finden sich solche journalistischen Perlen. Man greife sich irgendein beliebiges Heft eines beliebigen Tages und ohne jeglichen Zweifel findet sich so sicher wie die nächste Ausgabe am Kiosk darin Atemberaubendes. Beweise? Nach Spanien und Brasilien wird nun auch Italien die Festlegung einer Untergrenze des Body- Mass-Index für Laufstegmodells einführen. Und Armani meinte dazu: «Ich nehme nur gesunde Mädchen». Klar. Noch strengere Sitten herrschen in anderen Ländern. So steht der Chef des indonesischen «Playboy» wegen Veröffentlichung «unanständiger Fotos» vor Gericht. Unter anderem, weil die Models für Unterwäsche einen «einladenden Gesichtsausdruck» hatten. Über deren Body-Mass-Index lagen allerdings keine Informationen vor.

Apropos Wäsche: Nach dem Hochzeitsfetzen von Viktor & Rolf erreichte uns eine weitere Horrormeldung aus dem Tummelfeld der Massenanfertigung. Madonna macht, weil sie so «ein sicheres Gespür für Trends hat», nochmals Mode für H&M. Die Linie soll «zeitlos, einzigartig und glamourös wie ihre Schöpferin sein».


Alles in Ordnung: Korruption gehört zum guten Ton

Und wenn wir schon bei zeitloser Wäsche sind: Die «Schweizer Illustrierte» präsentierte eine Hommage an die ehemalige, in Unehren zurückgetretene Bundesrätin Elisabeth Kopp. Zu ihrem Siebzigsten. Laut «Heute» bereut sie ihr Vorgehen nicht. Allerdings würde sie in der gleichen Situation «heute nicht mehr zurücktreten» – sprich nachdem sie ihren Mann über ein drohendes Verfahren wegen Geldwäscherei informiert hatte. Lizzie! Please! Das müsstest du auch nicht mehr. Wir leben in der Welt eines George Dabbelju Bush und Silvio Berlusconi. Korruption gehört zum guten Ton.

Und wenn du mal nicht weisst, was tun: Italiens ehemaliger Premierminister will dem Land «ein Geschenk» machen, um «etwas Bleibendes zu hinterlassen». Nämlich will er eine europäische Universität gründen, um eine neue politische Elite zu formen. Als Fächer stehen dann zur Auswahl Nepotismus, Spinning, Korruption, Manipulation, Missmanagement der öffentlichen und Weisswaschung der eigenen Gelder. Und als fachkundige Dozenten fänden sich so illustre Namen wie George Bush Senior, Bill Clinton und Michail Gorbatschow.

Alle Tratschundlaber’s auf einen Blick
Tratschundlaber erscheint im Berner Kult Magazin ensuite

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ensuite k-notes

Lukas Vogelsang – Wir sind bald bei Euch! Die neue ensuite – kulturmagazin Ausgabe ist im Druck und alles kommt gut. Der Erscheinungstermin war so spät geplant, dass wir auch noch ein paar Feiertage haben konnten So konnten wir das neue Jahr locker angefangen. Der Alltag wird uns noch früh genug einholen…


Die neue Nummer ist wieder die Beste Nummer die wir je gemacht haben – doch das sagen wir bei jeder Ausgabe.

Aber ein wenig g’wundrig machen darf ich trotzdem: Die neue Ausgabe ist der AUFTAKT IN DEN 5. JAHRGANG! Das ist eine Sensation für Bern – natürich, das interessiert nur uns. Wir sind finanziell noch lange nicht über dem Berg, aber die Spitze ist in Sicht und wir haben viel Energie. Zum Beispiel haben wir diesmal das ARTENSUITE neu erfunden oder aber auch die Genügsamkeit abgelegt. ensuite – kulturmagazin ist um vieles kritischer und bissiger geworden, als noch vor 5 Jahren. Das ist gut so, denn die Kultur braucht ein Feedback.

So ist die neue Nummer wieder die Beste Nummer, die wir je gemacht haben – doch das sagen wir bei jeder Ausgabe. Und doch! Unsere Entwicklungsbereitschaft ist immer noch sehr hoch und gesund. Den Reaktionen entsprechend und den durchwegs positiven Feedbacks scheint es, dass wir einiges immer noch richtig machen… Jüngst erhielten wir sogar eine Einladung, das ensuite – kulturmagazin in Kanada aufzubauen. Wenn das so weiter geht, werden wir mal was an unserer Arbeit verdienen… wer weiss.

Deswegen erst mal PROSIT! Wir stossen auf eine weitere Runde an und freuen uns, dass Sie liebe LeserInnen, immer noch dabei sind!

ensuite kulturmagazin

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«does it look like i give a damn?»

Sonja Wenger – Von all den Geschichten voller Skeptizismus, die im Vorfeld des neuesten Bond-Filmes geschrieben wurden, ist wohl mit Abstand jene die beste, dass sich Daniel Craigs Mutter am Tag vor der offiziellen Bekanntgabe des Nachfolgers von Pierce Brosnan – gegenüber der Presse verplappert hatte. Mit ihrer Vorfreude hatte sie die grosse Pressekonferenz torpediert, bei der Craig im Polizeiboot und mit Sicherheitsweste auf der Themse der Welt als neuer 007 präsentiert wurde. Die Neuigkeit war durch, und kaum jemand sparte in den folgenden Monaten mit Häme über die blonden Haare und Spekulationen über ein mögliches Scheitern des Schauspielers.


Wurde von Mama torpediert: 007

Doch Mama Craig hatte dem monatelangen Hype um den weltbesten Spion auch ein neues, menschliches Gesicht verliehen. Und damit vorweggenommen, was die Qualität von «Casino Royale» ausmacht. Alles ist nämlich anders. Die Macher hatten tatsächlich den Mut, mit einer 44- jährigen Tradition von immer mehr und grösser zu brechen. Zurück zu den Wurzeln war stattdessen die Devise, zu den Geschichten von Ian Fleming, die kaum jemand gelesen hatte und die bisher noch selten wirklich die Grundlage der Filme gewesen waren.


Nix Kawumm mit flachlegen

Nix ist mehr mit technischen Spielereien, unsichtbaren Autos und den immer gleichen Abläufen mit Satelliten und trudelnden Flugzeugen. Nix mit dem grossen Kawumm im Vorspann, Auftrag fassen, grössenwahnsinnige Megalomanen beseitigen, Welt retten und die nette der beiden schönen Frauen flachlegen. Nix ist mehr mit Q und Weltraum und abstrusen MI6-Quartieren, vorbei die Zeiten der klaren Trennlinien zwischen «wir die Guten und dort die Bösen».

Craigs neuer Bond ist ein roher Killer, ein Gegen-Terrorist und bestimmt niemand, dem man unbedingt begegnen möchte. Sein Sinn für Mode beschränkt sich auf das Notwendige und seine Antwort auf die Frage eines Barkeepers «geschüttelt oder gerührt?» wird neue Filmgeschichte schreiben. In «Casino Royale» gibt es weniger exotische Orte als gewohnt, dafür die schmutzigen Niederungen von Korruption und Kriegsgewinnlern.

Natürlich kommt der Film nicht gänzlich ohne superschnelle Computer und das ganz grosse Geld aus – immerhin spielt ein nicht unwesentlicher Teil des Films am Pokertisch. Natürlich geht es auch diesmal um das Wohl der westlich zivilisierten Welt, die nur dank einiger packenden Stunts nicht im Sumpf des Terrorismus versinkt. Natürlich gibt es mit Mads Mikkelsen als Le Chiffre einen grandios durchtriebenen Gegenspieler. Und natürlich gibt es einige sprühende, witzige und intelligente Dialoge zwischen Bond und seiner Herzdame Vesper Lynd (Eva Green).

Doch bei all dem geht es ihm selber auch ganz gehörig ans Leder. Eine Folterszene zeigt Bond nackt an einen Stuhl gefesselt und eröffnet ein gänzlich neues Spektrum von Sadomasochismus, das bisher, wenn überhaupt, nur stilisiert und mit Rettung in letzter Sekunde gezeigt wurde.


Überdauerte sämtliche Einsätze

Doch bei «Casino Royale» geht es das erste Mal auch um den echten, wahren Bond. Einen Bond, der ganz gut ohne das James auskommt und den man so gar nicht sympathisch finden mag, denn er traut keinem ausser sich selbst und seinem Instinkt. Es ist ein Bond der nicht zum Hauptquartier rennt und sich ausrüsten lässt, sondern lieber bei M einbricht und ihren Vornamen kennt! Bei solchen Wendungen ist es dann auch nebensächlich, dass sich die Geschichte keinen Deut um logische Anschlüsse und frühere Begebenheiten kümmert.

Zwar haben die Macher wie bei Pierce Brosnans Debüt in «Goldeneye» wiederum den Regisseur Martin Campbell verpfl ichtet, doch von der gewohnten Besetzung der letzten Jahre ist nur die einzigartige Judi Dench als Bonds Chefin M übriggeblieben. Dafür tummeln sich in den Nebenrollen solch illustre Namen wie Giancarlo Giannini und Jeffrey Wright, der zuletzt in «Syriana» allen die Show gestohlen hatte.

Doch den Machern gebührt vor allem das Verdienst, einen mutigen und differenzierten Schauspieler gewählt zu haben. Und dass Craig spielen kann, weiss man nicht erst seit seiner Darstellung des drogenabhängigen Liebhabers von Francis Bacon im Film «Love is the Devil» von 1998. Sein uneitles, ungeschliffenes Äussere machte ihn jahrelang zur idealen Besetzung des fiesen Nebenrollen-Bösewichts in Filmen wie «Road to Perdition», «Tomb Raider» und «Elisabeth», zumindest bis Regisseur Matthew Vaughn – Produzent der Filme von Guy Ritchie – Craig endlich die Hauptrolle in «Layer Cake», dem Geheimtipp von 2004, anbot.

Die britische Tageszeitung «The Guardian» nannte Craig eine «inspirierte Besetzung», der eine «leichtfüssige Leinwandpräsenz ausstrahlt und diese mit der Ausstrahlung von tödlicher Gefahr» zu verbinden vermag. Daniel Craigs Bond ist dann auch ein Mensch und kein Superheld, er hat Gefühle, er macht Fehler, er hat ein Gesicht und nicht eine Fassade. Und niemand könnte weiter von jenen blasierten britischen Weltrettern entfernt sein, die viel zu teure Autos fahren, tadellos sitzende Anzüge tragen und sich Agenten nennen.

Dieser Bond quatscht nicht, er handelt. Die Welt hat einen neuen Helden. Der Film ist seit dem 23.11. in den Kinos und dauert
150 Minuten.

Dieser Bond erschien erstmalig im Berner Kult & Kulturmagazin ensuite

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Lukas Vogelsang – Es brennt. Nicht nur die Weihnachtskerzen: Die Kultur in Bern ist in Bewegung geraten – oder wäre es besser von Wallungen zu sprechen? Selten hatten wir so viele „Kulturabgänge“ zu verzeichenen, wie in dieser und in der nächsten Saison. Klar, durch die neue Stadttheaterleitung wird vieles verändert. Aber auch bei den Museen und bei den Medien gibt’s Wechsel. Was kommt danach? Eigentlich haben Bewegungen immer Vorteile. Doch wie steht es mit den NachfolgerInnen?

Wir haben auch noch andere Probleme: Die Hauptstadt der Schweiz leidet zum Einen an kulturellem Grössenwahn und meint, dass unsere Vielfalt das Mass aller Dinge sei in der Schweiz. Kaum spielt irgendwo auf einer Bühne jemand was vor, so ist dies bereits ein kulturelles Highlight. Zum Anderen aber verkennen wir die wahren KünstlerInnen und die wirklichen Grössen in Bern. Hier wird man nie berühmt. Bern ist nicht stolz auf auf seine Kinder. Man muss schon nach Zürich oder New York reisen, damit in der Heimatstadt jemand bemerkt, dass man etwas erreicht hat.

In diesem Chaos hat niemand mehr den Überblick. Weder das Publikum noch die sogenannten Kulturszenen wissen, wie man sich hier noch orientieren kann. Jeder und Jede für sich – das ist das Endergebnis – so also, wie wir es seit je her gemacht haben. Die Medien sind zum Schluss noch an allem schuld. Da haben wir die Sündenböcke – denn die Kultur irrt nie. Oder?

Spannende Themen also in der aktuellen Ausgabe. Spannendes für die kommenden stilleren Stunden. Von Weihnachten können wir ja kaum noch sprechen. Diese Kultur haben wir schon lange verloren.

ensuite kulturmagazin

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k-notes

Lukas Vogelsang – Was für ein September. Der Herbst zieht gerade seine schönsten Kreise. Gut so, denn wir brauchen viel Kraft für den Winter. Manchmal vergessen wir, dass noch vor 150 Jahren die Schweiz eines der ärmsten Länder in Europa gewesen ist. Es waren „AusländerInnen“, die uns die Industrie aufgebaut haben, nicht wir. Wir haben sie danach zum Teufel gejagt und das Bankengeheimnis eingeführt, um den erworbenen Reichtum zu schützen und zu vermehren. Strategisch war das sicher nicht dumm – über die Moral darf man streiten.

Fakt ist aber, dass der Schweizer kein Unternehmer ist. Wir profitieren oft nur von den Ideen anderer. Wir müssen wohl oder übel akzeptieren, dass wir ein Haufen von Bäuerinnen und Bauern sind. Die Kuh im Stall und das Heu auf der Allmend.

Nur wenigen ist es vergönnt, den Blick in eine Zukunft zu richten, die mit der Weltenzeit läuft. Irgendwie kann ich das Geschwafel vom „reichsten Land in Europa“ nicht so recht glauben. In dieser Stadt, der Hauptstadt dieses reichen Landes, fehlt mir diese Note.

Umso wichtiger ist es, dass wir auf die Kultur schauen und beobachten, was für Signale die KünstlerInnen senden. Wohin geht’s, wohin des Weges.

Vor einigen Jahren war zum Beispiel „Babylon“ in der ganzen Welt ein Thema. Diesen Impulsen sollten wir von den Lippen lesen. Sie sind ein Teil unserer Visionssuche. In der Kunst und in der Kultur liegen noch viele unbedachte Schätze, die wir jetzt finden sollten. Gesellschaften brauchen die Kultur – genau deswegen.

Und dazu dient der Kultur-Saisonstart im Herbst. Ich glaube, wir haben einen spannenden Winter vor uns. Und wer im Sommer gut gejagt hat, wird sich im Winter davon ernähren können.

ensuite kulturmagazin – Berns Nummer 1

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Hochwürden sind Sie besessen?

Stephan FuchsReverend Beat-Man, seit drei Tagen habe ich keine Angst mehr vor dem Tod! Ist das normal?

Reverend Beat-Man: Oh ja, keiner sollte sich vor dem Tod fürchten. Was nahm Ihnen denn die Angst?

Die Platte „Flammend’ Herz“ von „The Dead Brothers“, die in Ihrem Label „Voodoo Rhythm“ erschienen ist. Die Musik muss an meinem Begräbnis gespielt werden. Hoffentlich live, auch wenn die Herren bis dahin alt und grau sind.


Das Leben ist grossartig! Ja, es ist gefährlich, es ist voller Überraschungen, leidenschaftlich, fleischlich, manchmal gar teuflisch…

Ich verstehe. Die Band ist wirklich gut. Die Musik kommt auch von tief, tief unten, aus dem Grabe sozusagen. Sie hören der Band zu und es ist als ob Sie mit am Piano sitzen und mit einer Bande von Gipsys in der Hölle musizieren würden.

Ja, aber ich mein das ernst. Wissen Sie, täglich kreuzen mich Gangster, Agenten und Politiker. Manchmal kommt es hier und da auch zu klandestinen Treffen… und Reverend, ich habe mich vor diesen Treffen nicht gefürchtet. Nie! Und trotzdem, wohl unbewusst, ängstigte mich der Gedanke eines plötzlichen Todes. Stellen Sie sich das vor, erschossen zu werden und keiner spielt am Grab des geschundenen Körpers. Grässlich! Ich bin überzeugt, dass der, der sich vor dem Tod fürchtet, auch das Leben fürchtet. Was meinen Sie? Fürchten Sie sich vor dem Leben?

Nein! Das Leben ist grossartig! Ja, es ist gefährlich, es ist voller Überraschungen, leidenschaftlich, fleischlich, manchmal gar teuflisch… und der Tod… ich denke er ist das grösste Glück, die Erlösung unserer irdischen Form oder ein neuer Anfang, das Licht von etwas Neuem. Verstehen Sie? Angst ist etwas für die Ratten die sich im Dunkeln tummeln, die sich des Lichtes wegen ängstigen. Das Leben aber ist umwerfend. Und gerade des Todes, des Lichtes wegen haben wir Menschen im Leben nichts zu verlieren, nichts zu sündigen. Wir sind doch frei von Sünde.

Mein lieber Schwan! Sie sprechen hier vom Teufel, von Fleisch, von Sünden…

Genau! Ich spreche deutlich vom Leben. Hier und jetzt. Leben! Ich habe die Bibel ausführlich gelesen und ganz klar, die Bibel ist eines der absolut grossartigsten Bücher. Nur: Die Bibel lesen ist eine wunderbare Sache… die Bibel leben ist etwas anderes. Wer LEBEN als solches versteht, der lebt automatisch nach dem Buch der Bücher. Wer lebt, der kann gar nicht schlecht sein. Satan, der Vater… diese Dinge sind für die Ängstlichen, für die, die ohne Weisung nicht klarkommen; die Diktatur ist dann wohl nicht fern. Jesus lebte gefährlich, er lebte mit dem Fleisch, er hatte eine Vision, er hatte Leidenschaft, für die er offenbar starb. Sein Vater richtet nicht, wie das viele glauben. Der Vater hat vielmehr verziehen. Jedem. Dem Massenmörder genauso wie dem Weib, welches sich schindet und sich für ihre Kinder aufopfert. Das ist für mich die Bibel. Die Bibel muss man nicht lesen, die muss man leben. Und das kann jeder. Das ist noch nicht mal christlich, das ist menschlich, oder?

Reverend, Ihre Freundin Scarlette Fever aus L.A. ist Burlesque-Tänzerin; Tänzerin der legendären Velvet Hammer Tanzrevue. Varieté, Moulin Rouge, Erotik… und entschuldigen Sie… damit verbunden ist die Sünde. Wie können Sie hier sagen das sei „ok“?


Burlesque ist Geschichte, Spannung, Theater, Varieté. Foto: Manuel Vason

Burlesque, Moulin Rouge, das ist Leidenschaft, das ist nicht Cüplisex und da geht es nicht um Geld und Dollar Noten, die man einer Tänzerin in die Strapse steckt, in der Hoffnung sich deren Schenkel auf dem Schoss zu wiegen. Burlesque sind Geschichten, Spannung, Theater, Varieté. Burlesque ist eine sehr, sehr menschliche Geschichte, dazu noch mit Charme. Auch da geht es wieder um Leidenschaft. Die Frauen sind nicht doof, das ist nicht Prostitution. Scarlette Fever ist auch Journalisten, sie arbeitet für den L.A. Weekly, sie war Art & Lifestyle Editor des L.A. Reader, sie ist Grafikerin des Los Angeles Zoo und des botanischen Gartens. Valentina und Scarlette sind mit ihrem Programm „A Boozin’ Burlesque Explosion“ die Königinnen des Old-School-Striptease. Gehen Sie sich das mal anschauen und Sie werden sehen, mit Sünde hat das gar nichts zu tun.

Reverend, sind Sie eigentlich besessen?

Ja bestimmt! Von guter Musik, schlechtem Geschmack, guten Partys und guten Geschichten. Besessen zu sein ist ein guter Antrieb Dinge zu leisten, die ein nicht Besessener nie tun könnte.

Sie waren aber auch handfest besessen: Von dunklen agressiven Mächten in Form einer mexikanischen Wresting Maske, durch die Sie geistig und körperlich fast zerstört wurden. Dem Tod entronnen, quasi als Wiedergeborener, ziehen Sie nun predigend durch die Welt. Sie gelten als Priester des „primitive Rock’n’Roll“.

Ja, ich habe das Licht am Ende des Tunnels gesehen. Ich war damals Jahre lang als Ein-Mann-Band unterwegs. Ich habe mir diese mexikanische Wrestler-Maske über mein Gesicht gezogen und habe auf der Bühne „Appartment-Wrestling“ gemacht. Ich habe mich tatsächlich mit meiner Gitarre und dem Publikum, vor allem aber mit mir selber geprügelt, wobei ich glücklicherweise immer als Sieger hervorging. Einige Zeit lang war das lustig, doch die aggressive Maske nahm überhand und immer öfter war nicht ich der Sieger, sondern eben die schwarzen Mächte der Maske. Es war furchtbar… ich habe mich selber auf der Bühne so verprügelt, dass ich mir die Nase, den Arm brach, schlussendlich hab ich mir beinahe den Rücken gebrochen, musste ins Spital, viel ins Koma und sah das Licht.

Reverend…!

Ja, ich sah das Licht, voller Freude habe ich mich darauf zu bewegt. Am Ende des Tunnels sah ich Screamin Jay Hawkins, den legendären Musiker… ich fiel auf meine Knie und weinte. Ich weinte wie ich in meinem ganzen Leben noch nicht geweint habe. Ja, ich wollte zurück. Zurück auf den Planeten des Hasses, zurück zu meiner Musik. Und glauben Sie mir, Hawkins half mir. Er sagte: „Beat Man, wir haben gesehen was du auf dem Planeten des Hasses gemacht hast, die Menschen brauchen dich dringend. Geh zurück und predige… PREDIGE!! Erzähl’ den Menschen die Geschichte über Primitive Rock’n’Roll, die Geschichte über Blues Trash und Gospel Trash.“ Augenblicklich erwachte ich aus dem Koma und ich wusste, was zu tun war: Ich verbrannte meine Maske, packte meine Gitarre und das Kick-Drum in mein altes Auto, fuhr von Stadt zu Stadt und… predigte!

Das war die Geburt von Reverend Beat Man. Sie touren Japan, Amerika, Südamerika, England, den Kontinent… Sie sind ein Star!

Ich bin Musiker und Priester, habe ein eigenes Label, eben Voodoo-Rhythm und verdiene mit meinen Shows kein Geld. Es ist mein Herzblut, mein persönliches Flammend’ Herz. Lohn bekomme ich vom Publikum. In Form von Briefen, von… Danke Reverend. Sie schätzen was ich mache… aber vor allem bin ich Vater.

Ein sehr liebender, Zeit Investierender – wie ich sehe.

Mein Junge ist mir das wichtigste. Er ist es, der jetzt da ist, er hat ein ganzes Leben vor sich, und da will ich ihm ein guter Vater sein. Mein Leben ist da nicht mehr so wichtig.

Werden Sie alt, Reverend?

Ha, nein! Aber ich bin weniger auf Tourneen. Obwohl, morgen geh’ ich wieder mit den „Monsters“ auf Tournee durch Frankreich, Deutschland, Holland und die Schweiz. Einzelne ausgesuchte Auftritte als Reverend Beat- Man mache ich schon auch, aber ich kümmere mich nun mehr um mein Label, dadurch gibt es viel Arbeit zu Hause die sehr wichtig ist, den Geist des Primitiv Rock’n’Roll weiter zutragen. Es ist auch wichtig für meinen Sohn. Er braucht mich, er braucht ein Zuhause und er braucht eine Familie, die ihn liebt und ihn auf seinem Weg unterstützt. Das ist meine wichtigste und grösste Show, die ich je haben werde!

Reverend, Sie sind ein richtiger Kerl…

Das denken wohl nicht alle. Wer mich nicht kennt der schaut lieber weg, der grüsst mich nicht, schenkt mir kein Lächeln. Mein Lebensinhalt hat mich vielleicht zu einem Outlaw gemacht. Aber eben, es ist mein Weg, mein Leben und ich bin stolz darauf.

Sie dürfen auch stolz auf ihr Label sein nicht? Ihr Label „Voodoo Rhythm“ gilt als Ground Zero für Primitive Rock’n’Roll, Slopabilly und die nie gehörten Sounds aus allen Schichten menschlichen Wahnsinns. Was fehlt Ihnen noch im Repertoire?

Klassik! Das wäre für mich ein Geschenk. Ich bin fasziniert von klassischer Musik. Sie ist dem Wahn näher als man denkt und in einer emotionalen Tiefe… Klassik ist wirklich faszinierend.

Also keinen Grund vorzeitig zu sterben. Haben Sie eigentlich eine Funeral-Band, die an Ihrem Begräbnis spielen wird?

Ich möchte für mich selber spielen. Vielleicht find ich da irgendwie irgendeine Möglichkeit. Die Welt ist doch bunter und runder als sie scheint.

Sie haben mit meiner Funeral Kapelle „The Dead Brothers“ ja auch einen dicken Fisch im Korb nicht?


Leidenschaft für richtige Kerle

Das werden wir sehen. Die Platte „Flammend’ Herz“ ist der Soundtrack zum gleichnamigen Film in einer schweizerisch-deutschen Film Produktion. Es ist ein Zeitdokument dreier Hamburger Freunde. Das sind drei alte Männer um die Neunzig, aus ganz unterschiedlichen Verhältnissen kommend. Was sie verbindet ist einzig die Leidenschaft für Tätowierungen. Richtige Kerle. Die drei sind geeint im Willen nur so zu leben, wie sie wollen. Ihre Häute sind Geschichtsbücher, Biographien ihrer eigenen bewegten Geschichte, gezeichnet in blauer Tinte. Was für ein Reichtum!

Na, dann wohl auch ein finanzieller Reichtum für Sie, Reverend?

Pa! Muss es das? Ist das so wichtig? Wer weiss. Sicher, ich hätte Freude für meinen Sohn, dem ich die Schule, seine Ausbildung bezahlen könnte. Schauen Sie, ich habe mit allen Bands unter meinem Label ein Gentleman Agreement. Wir haben keine Verträge. Wir sind Jungs, die für die Musik leben und mit ihr sterben. Wir sind Gentleman und bauen an derselben Kiste. Verstehen Sie?

Ja, die Sprache versteh’ ich. Es gibt zu wenige aus diesem Holz. Kerle, die ranstehen, die aus Leidenschaft machen, sich gegenseitig aus der Patsche hauen und sich anschliessend `ne Zigarre anzünden.

Ja, das sind Dinge die im Leben zählen. Die Nacktheit der Ehrlichkeit, die Leidenschaft. Die Momente in denen sich die Nackenhaare sträuben, sich die Nasenflügel blustern und man für eine kleine Insel kämpft. Frauen und Männer die zusammenstehen, die gute alte Mafia, welche die Insel und die Familien vor den Banditen und den Aposteln der Geldgierigen schützt.

Reverend, Sie sprechen mir aus dem Herzen. Herzlichen Dank, dass Sie mich empfangen haben. Bitte beten Sie für mich, die alten Familien und unseren Kampf um die Insel.

Die PDF Datei finden sie im PDF Archiv unter: Hochwuerden sind sie besessen?
Der Berner Musiker Reverend Beat Man betreibt sein Label Voodoo Rhythm seit 1992.
Foto: Yoshiko Kusano
Flammend Herz

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Pirates of the Caribbean 2: Dead man’s chest

Sonja Wenger – Ho-ho-ho! Jack Sparrow, pardon: Captain Jack Sparrow ist wieder da! In einer unberechenbaren, teilweise grotesken, aber überaus unterhaltsamen Fortsetzung von «Pirates of the Caribbean: the Curse of the Black Pearl» aus dem Jahr 2003.

Das bedeutet zwar nicht, dass die Geschichte besser ist als das Original, aber wen kümmert das, wenn der Film es dem Publikum vergönnt, vom ersten Moment an zu kichern und bei den wilden Abenteuern und mystischen Begegnungen der liebgewonnenen Charaktere mitzufi ebern? Eine neue Ära von Spezialeffekten, atemberaubende Strände und Seeschlachten mit detailgetreu nachgebauten Schiffen versetzen das Publikum in eine Piratenwelt, wo man nur zu gerne die Klingen kreuzen würde mit dem exzentrischen Captain.

Regisseur Gore Verbinski hat beinahe das gesamte Produktionsteam aus dem ersten Teil wieder um sich geschart und die Büchse der Pandora der Spezialeffekte geöffnet. Die Fortsetzung leidet zwar etwas unter «noch mehr, noch grösser, noch länger», dafür kriegt man aber einiges geboten, «savvy?». Vielleicht hätte es ein paar Kannibalen und versenkte Schiffe weniger auch getan, aber die Geschichte um den freiheitsliebenden Piraten (Johnny Depp) und das unerschrockene Paar Will Turner (Orlando Bloom) und Elisabeth Swann (Keira Knightly) ist zweifellos aus den Kinderschuhen herausgewachsen.

Die Charaktere von Will und Elisabeth werden nicht länger unschuldig in Sparrows Abenteuer verwickelt, sondern agieren eigenständig und nicht ohne eine gewisse Ruchlosigkeit. So haben auch die Kämpfe zwischen den Protagonisten ihre Leichtigkeit und die Bösewichte ihre sympathischen Züge verloren. Doch trotz einer manchmal düsteren Grundstimmung vermag der Film immer wieder mit neuen Drehungen und witzigen Wendungen zu überraschen.

Captain Jack Sparrow steht bei dem legendären Davy Jones (Bill Nighy) in einer Blutschuld, die dieser nun einfordert, was für Sparrow ewige Verdammnis und Sklaverei auf Jones Geisterschiff – die sagenumwobene «Flying Dutchman» – bedeuten würde. Um diesem Schicksal zu entgehen, sucht Sparrow nach der Schatztruhe, die Davy Jones’ Herz enthält und dem Besitzer die Macht über Jones Schiff und Mannschaft verleiht. Und damit auch die Kontrolle über das Meer, denn zu Jones Kreaturen gehören nicht nur seltsame Wesen halb Mensch, halb Meeresbewohner, sondern auch eine gigantische Krake, die ganze Schiffe vernichten kann.

Sparrows ungewöhnlicher Kompass, der noch immer nicht nach Norden zeigt, soll ihn zu der Truhe führen. Doch auch ein alter Widersacher von Sparrows, der arrogante und boshafte Lord Cutler Beckett (Tom Hollander) von der East India Trading Company, ist hinter der Truhe her. Er war es, der Sparrow einst das Zeichen der Piraten auf den Arm brannte und der von dem Wunsch getrieben ist, alle Piraten der Karibik zu vernichten. Neben den bekannten Gesichtern aus dem ersten Teil, lernen wir diesmal auch Wills Vater Bootstrap Bill Turner (Stellan Skarsgard) kennen, der auf Jones Schiff gefangen ist. Um ihn zu befreien, muss Will sich nun entgültig auf die Seite der Piraten schlagen und mit alten Widersachern neue Allianzen eingehen.

Der letzte Teil der gleichzeitig mit «Dead Man’s Chest» gedrehten Trilogie ist bereits für Ende Mai 2007 geplant.

Dieser Artikel erschien erstmalig in der August Ausgabe des Berner ensuite kulturmagazin.

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k-notes:

Lukas Vogelsang – Ich habe immer Skrupel, über Kultur zu diskutieren, wenn irgendwo Bomben fliegen und das Unrecht in mörderischer Form um sich schlägt. Kultur kann übel elitär und egoistisch oder sie kann wertvoll und wichtig sein. Kultur ist zerstörerisch und mächtig – Kultur ist auch sensibel und einfühlsam.

Aber eines ist Kultur gewiss nicht: Sie ist kein Trostpreis! Wenn man aber die Zahlen und Fakten betrachtet, so wird man des besseren belehrt. Warum haben wir einen so schlechten Bezug zum Begriff „Kultur“? Warum verwechseln wir „Kultur“ immer mit „Entertainment“? Die neuste Ausgabe von ensuite – kulturmagazin klärt diese Fragen nicht. Aber wir verstehen uns auch nicht als AufklärerInnen oder Kulturpropheten.

Eine kulturelle Plattform muss eine solche bleiben.
Unabhängigkeit ist entsprechend wichtig – und die Frage, woher das Geld für die Produktion kommt, wird zu einer moralischen Frage. Ich habe kein Problem mit Werbung umzugehen, doch bei den Sponsoren oder Werbern kann es an Grenzen stossen, wenn man die Bedingungskataloge betrachtet. Früher einmal unterstützte ein Sponsor das Vorhaben einer Gruppe oder einer Institution. Heute bauen die Institutionen für Werber und Sponsoren… Und der Grundgedanke einer Sache ist das Geld geworden – die Sache selbst ging dabei vergessen.

Dieses Kulturmagazin denkt nicht so. Wir sind eine Zeitung, die noch den Journalistinnen und Journalisten gehört. Der Verlag und die Redaktion sind eins. Das hat eine hohe Qualität und Flexibilität zur Folge und vor allem eine Unabhängigkeit, die ohnegleichen in Bern gesucht wird. Unsere Existenz ist darin begründet, dass wir unterstützt werden, weil wir gute Arbeit liefern. Und wer bei uns wirbt, hat begriffen, dass er sich dabei mit Qualität und Engagement zeigt. Unsere Leserschaft ist ein fantastisch, sozial-engagiertes Publikum – keine leeren Hüllen ohne Verstand. Unsere LeserInnen sind die Nummer 1 in Bern. Und dafür möchte ich mich wieder einmal bedanken.

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„Sakrileg“ in China verboten

Karl Weiss – Die Nachricht des Verbots des Filmes „Sakrileg“ („The da Vinci Code“) in China, nachdem er bereits drei Wochen erfolgreich gelaufen war, kann nur bei oberflächlicher Sicht überraschen. Reaktionäre mit ihren verquasten Bruchstücken von Ideologie sind überall auf der Welt sehr ähnlich in Form und Aktion. Da ist es kein Wunder, daß sich gegen Dan Browns Kriminalgeschichte eine große Koalition aus dem Vatikan (einschließlich gewisser christlicher Politiker), islamistischen Eiferern und dem bürokratisch-kapitalistischen chinesischen Regime bildet. Es wächst zusammen, was zusammen gehört.


Kein Anschluss in China

Zunächst und ohne nähere Betrachtung richtet sich Dan Browns Werk natürlich gegen die christlichen Dogmen. Er stellt in Frage, was bei der Gründung des Katholizismus im dritten Jahrhundert an Auswahl aus den überlieferten Schriften über den Propheten Jesus in das „Neue Testament“ der Bibel übernommen wurde und was nicht. Dieselbe Auswahl, die später Luther übernahm und die damit auch die protestantischen Kirchen prägt. Alles, was auf Geschwister Jesus hinwies, blieb außen vor, ebenso alles über den verheirateten Jesus und seine Kinder.

Die Gründe waren klar. Man wollte eine neue Religion im Römischen Reich als Staatsreligion einführen, in dem man an mehrere Götter und weibliche Götter gewohnt war. So schuf man drei Götter, die man dann, weil man die jüdische Überlieferung des Ein-Gott-Glaubens nicht außer Acht lassen konnte, zu einer Dreifaltigkeit eines einzigen Gottes zusammenfaßte. Man schuf die Person der Gottesmutter, die als einzige frei von der Erbsünde geboren wurde und hat damit eine weibliche Ikone, die bis heute unter vielen Frauen der Welt funktioniert.

Kurz, man tat das, was alle Religionsgründer tun, man erfindet Dinge und das so, wie es genehm ist. Der „da Vinci Code“ dagegen mahnt geschichtliche Wahrheit an. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob Dan Browns Theorie über Leonardo da Vinci nicht genauso erfunden ist. Allein die Frage der geschichtlichen Wahrheit ist aber für jede Religion, die ja immer auf (Teil-)Erfindungen beruhen muß, eine Herausforderung, ein „Sakrileg“(wie passend der deutsche Titel).

Hat doch die Theorie Dan Browns zumindest ein schlagendes Argument für sich: Wie jüdische Religiöse bestätigten, war und ist unter den gläubigen Juden ein Mann erst dann wirklich erwachsen und in seiner Gesellschaft für voll genommen, wenn er verheiratet ist. Jesus aber wurde ein triumphaler Einzug in Jerusalem bereitet, undenkbar in der jüdischen Gemeinde für einen nicht verheirateten Mann. Mit diesem Einzug war er als jüdischer Prophet anerkannt – unmöglich für jemanden, der noch gar nicht für voll genommen wird. Dieser Einzug war ja auch der Anlaß für die römische Besatzungsmacht, ihn gefangennehmen, foltern und kreuzigen zu lassen. Es wurde klar eine Tafel an sein Kreuz gehängt, die sein „Verbrechen“ deutlich macht: „Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum“, Jesus von Nazaret, König der Juden. Die Besatzungsmacht (so wie jede Besatzungsmacht) fürchtete, die Juden könnten sich unter ihrem ‚neuen Führer’ zusammentun und einen Aufstand gegen die Römer entfesseln. Es wäre außerdem extrem unüblich für einen dreiunddreißigjährigen Mann gewesen, nicht verheiratet zu sein. Wäre es so gewesen, hätten alle Evangelisten eine Erklärung dafür abgeben müssen. Haben sie aber nicht. Es wird vielmehr als ganz selbstverständlich erzählt, daß unter seinem Kreuz neben seiner Mutter und Johannes auch Maria Magdalena stand.

In diesem Sinne nur natürlich, daß sich auch die mohammedanischen Fundamentalisten angesprochen sahen und das Verbot des Filmes forderten. Wahrscheinlich fühlten sich auch entsprechende buddistische und konfuzianistische Gelehrte auf den Schlips getreten. Auch für sie kann die Forderung nach geschichtlicher Wahrheit nur einem kranken Geist entspringen. Im Grunde muß sich jedes reaktionäre Regime herausgefordert fühlen, denn für jedes dieser Regimes ist Geschichtsklitterung die Lebensgrundlage.

Man sehe sich nur an, wie das bundesdeutsche Politik-Establishment unter Einschluß der Grünen auf die Forderung Peter Handkes reagierte, die Geschichte der jugoslawischen Sezessionskriege dürfe nicht nach derem Gusto verfälscht werden. Sie bestehen darauf, ihre Geschichtslügen dürften nicht angetastet werden. Nein, nicht Genscher hat die Sezessionen eingeleitet, sondern Milosevic. Nein, nur die Serben hatten „Konzentrationslager“ und begingen Massaker. Nein, es war kein imperialistischer Überfall auf ein kleines Land, um es in die Steinzeit zurückzubomben, es war eine Befreiungsaktion gegen einen ‚neuen Hitler’ und gegen einen ‚neuen
Holocaust’.

Da durfte Hanke natürlich keinen Preis bekommen. Wo kämen wir denn da hin. WIR schreiben schließlich die Geschichte!

Es schließt sich also der Kreis reaktionär gesinnter Geschichtsklitterer: Der Papst Hand in Hand mit Ayatollah Khomeini, der chinesischen Führung und der deutschen Politiker-Kaste. Da wächst zusammen, was zusammen gehört!

The da Vinci Code – ein Sakrileg?
Mit Schaum vor dem Mund

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The da Vinci Code – ein Sakrileg?

Sonja Wenger – Der absolute Traum eines jeden Film-PR-Menschen ist eine öffentliche Kontroverse. Man nehme ein Buch, dass fünfzig Millionen Mal verkauft wurde, einen Autor, der gleichermassen erfolgreich wie medienwirksam einen Plagiatsprozess abgewehrt hat und eine kontroverse Geschichte um «die grösste Vertuschungsaktion der Historie». Wenn es sich noch dazu um das Thema Religion handelt, der Streit praktischerweise zwei Wochen vor Filmstart zeitgleich in allen Medien beginnt und die Gemüter der höchsten Autoritäten erhitzt, dann erhält man eine Publizität und ein Interesse, das nicht mit Gold aufzuwiegen ist. Dafür aber umso mehr Geld einbringt.


Weder gut noch schlecht

Obwohl bei der Premiere in Cannes haushoch durchgefallen und seither in den meisten Fällen mit lauwarmen Kritiken versehen, spielte der Film am ersten Wochenende ein Rekordergebnis ein. Was erstaunlich ist angesichts der Tatsache, dass garantiert kein Zuschauer und keine Zuschauerin sich den Film zweimal ansieht. Der Film ist weder gut noch schlecht. Er hat ein paar nette Bilder, Erwartungshaltung kann nur enttäuscht werden, wer es nicht gelesen hat, verbleibt ratlos über die Aufregung in den Medien.

Die Geschichte um Symbole, Rätsel und kirchliche Verschwörungen funktioniert bestens in einem Buch. Auf der grossen Leinwand wirkt sie langatmig. Der cineastische Einfall, geschichtliche Hintergründe zu verfilmen und sie mit der Erzählung visuell zu verweben, kann als löbliche Absicht der Auflockerung gedeutet werden, aber auch als der ultimative Killer der Phantasie.

Dass die Komplexität der «Schnitzeljagd» auf ächzende zweieinhalb Stunden zusammengestaucht wurde und das Ende aufgesetzt kitschig daherkommt macht es auch nicht besser. Hauptdarsteller Tom Hanks versuchte auf einer Pressekonferenz am Filmfestival in Cannes die Diskussion zu entkräften: «Es handelt sich nicht um einen Dokumentarfilm.» Der einzig «vernünftige» Kommentar kam aber von Ian McKellen, einem Schauspieler, der sich öffentlich zu seiner Homosexualität bekennt: «Ich kann mir gut vorstellen, dass Jesus verheiratet war. Und wenn man bedenkt, welche Probleme die katholische Kirche mit Homosexuellen hat, wäre dies doch der beste Beweis dafür, dass Jesus nicht schwul war.»

Religiöse Themen zu verfilmen ist wohl immer wie ein Stich ins Wespennest. Man mag sich nur um den vergleichbarenHype bei dem Film «The Last Temptation of Christ» von Martin Scorssese aus dem Jahr 1988 erinnern, oder um Mel Gibsons Ver. lmung «The Passion of the Christ» von vor zwei Jahren. Auch damals schlugen die Wellen hoch, auch damals hat man sich im Nachhinein gefragt warum.

Welche Angst haben also die Menschen, die nun demonstrieren und sich landauf-landab in Talkshows und Spezialseminaren zu einigen versuchen, was sie denn über den Film, Opus Dei und vor allem über die Theorie denken sollen, dass Jesus Christus eventuell unter Umständen möglicherweise verheiratet gewesen sein könnte. Und weshalb beginnt die Diskussion erst jetzt hochzukochen, obwohl das Buch bereits seit Jahren auf dem Markt ist? Haben die Gegner und Gegnerinnen vielleicht Angst davor, dass es noch immer viele Menschen gibt, die das für bare Münze halten, was sie in bewegten Bildern sehen? Am besten formulierte es wohl die vatikanische Zeitung «L’Osservatore Romano» wenige Tage vor dem Start des Films in Italien: Die Kirche sei in eine «gigantische Marketing Strategie» hinein manövriert worden und die Filmadaption von Dan Browns Buch sei «Viel Lärm um Nichts».

Wie zu erwarten gab die Produktionsfirma Columbia Pictures bekannt, als nächstes Dan Browns Buch «Illuminati » (Angels and Demons) zu ver. lmen. Quasi das Prequel zu «Sakrileg». Mit der Option auf die gleiche Crew um Regisseur Ron Howard, Darsteller Hanks und die Drehbuchautorin Akiva Goldsmann. Die Geschichte handelt im Vatikan und beinhaltet, salopp formuliert, ein Dutzend ermordete Kardinäle und miese Machenschaften im Umfeld des Papstes. Man darf gespannt sein, mit welchen vergoldeten Engelszungen sich die Produzenten um eine Drehgenehmigung im Vatikan bemühen wollen. Schliesslich will das moderne, mündige Publikum heutzutage echte Bilder sehen. Halleluja.

Dieser Artikel erschien im ensuite Kulturmagazin