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Wikileaks am Ende? Die Idee wird überleben

Dr. Alexander von Paleske — 7.9. 2011 — Man braucht kein Prophet zu sein, um vorauszusagen, dass Wikileaks seine Zukunft – jedenfalls unter der Regie von Julian Assange – schon hinter sich hat: als Vergangenheit.

Noch einmal schaffte es Assange Ende vergangener Woche in die Schlagzeilen zu kommen, weil er alle Diplomatischen Cables der USA, die ihm zugespielt worden waren – insgesamt 251.000 an der Zahl – unredigiert ins Internet stellte, und damit auch die Informanten selbst, aber auch weitere Personen gefährdete. Er berief sich dabei auf eine „Abstimmung“ bei twitter.

Vox Populi Vox Rindvieh
Das mutet geradezu lächerlich an, denn über potentielle Gefährdungen von Personen kann ja wohl kaum bei twitter abgestimmt werden, dazu bedarf es intimer Kenntnisse des zu veröffentlichenden Materials.

Diese „Vox Populi“ war nichts anderes als eine „Vox Rindvieh“.
Es ist eine Aktion, die man beschreiben könnte als „nach mir die Sintflut“. Denn mit seiner Aktion hat Assange alles das verspielt, was sogenannte „Whistleblower“ also Enthüllungs-Informanten brauchen: Absolutes Vertrauen.

Mit anderen Worten. Der Zufluss brisanten Materials wird voraussichtlich ausbleiben, da sich das Liefern von Info an Wikileaks jetzt zu einem Kamikaze-Unternehmen zu entwickeln droht.

Ein Blick zurück
Dabei hatte Julian Assange innerhalb kurzer Zeit, dank einer brillianten Idee, sich und Wikileaks weltweit bekannt gemacht und Anerkennung erworben, was ihm weitere Informationen sozusagen im Stundentakt einbrachte: Aus einem Schneeball wurde eine Lawine.

Bisher mussten sich die „Whistleblower“ selbst an die Medien wenden,und wurden von Journalisten abgecheckt nicht selten zunächst ignoriert.

Beispiele aus der Vergangenheit: Deep Throat und der Watergate Skandal, wo der Informant sich erst Jahrzehnte später zu erkennen gab.
Oder Skandale in Deutschland, wie der neue Neue Heimat Skandal oder der Parteispendenskandal in den 70er Jahren.

Bei Wikileaks konnte per Internet abgeladen werden. Ein persönlicher Kontakt war nicht mehr vonnöten. Das machte alles viel einfacher.

Und die bei Wikileaks abgeladenen Infos hatten es in sich: Die Enthüllungen aus dem Afghanistan- und Irak-Krieg zeigten auf, wie in zynischer Weise Zivilisten und Reporter wie Hasen abgeknallt wurden.

Auf einer Woge der Anerkennung
Wikileaks enthüllte den Einsatz von Todesschwadronen – eine klare Verletzung der Genfer Konvention – und machte die wirkliche Einstellung der USA zu einer ganzen Reihe von Staaten und deren Politiker öffentlich, durch die Bekanntmachung der „Diplomatischen Kabel“

Julian Assange schwamm – dank seiner grandiosen Idee und deren Umsetzung – auf einer Woge der Zustimmung und Bewunderung, und eine ganze Reihe von hochkarätigen IT-Leuten unterstützten ihn dabei selbstlos, bis alle seine ausgeprägten Schwächen ihn schliesslich einholten und damit auch Wikileaks selbst ruinierten.

Als das ihm zugespielte Material die personellen Kapazitäten von Wikileaks zur Sichtung sprengte, schaltete er folgerichtig seriöse Presseorgane wie die New York Times, die spanische El Pais, die französische Le Monde, den britischen Guardian und den deutschen SPIEGEL ein, um die Fülle des Materials zu sichten, auf Richtigkeit abzuklopfen, zu kondensieren, und dann gemeinsam zu veröffentlichen.

Das gelang zweifellos hervorragend.

Domscheit-Berg geht
Aber dann gab es die ersten grossen Auseinandersetzungen innerhalb von Wikileaks.
Daniel Domscheit-Berg, ein ausgewiesener IT-Mann und Sprecher von Wikileaks ging, bzw. wurde von Julian Assange in einem offenbaren Akt von Neid und Eifersucht seiner Ämter enthoben. Die beiden trennten sich im Streit.
Mehr noch: Domscheit-Berg veröffentlichte sein Buch „Inside Wikileaks“, das den Meinungsterror, den Julian Assange offenbar veranstaltete, das Chaos, das er angeblich erzeugte, und die diktatorischen Entscheidungen die er traf, offenlegte.

Mehr noch, Assange engagierte offenbar Personal nicht aufgrund von nachgewiesener Substanz, sondern persönlichem Gefallen.
Darunter befand sich auch ein Mann namens Israel Shamir, der in der Vergangenheit allerlei antisemitisches Zeugs veröffentlicht hatte, und offenbar im Dienste des Innenministeriums von Weissrussland stand.

Dessen Spionagetätigkeit bei Wikileaks führte prompt zur Verhaftung von Oppositionsaktivisten in Weissrussland , die ganz offensichtlich in den diplomatischen Depeschen der USA genannt und beurteilt worden waren.

Dass Assange unwillig war, den Fall Israel Shamir intern aufzuklären, belegt nur allzu deutlich, dass dem Wikileaks-Gründer das Verantwortungsbewusstsein und die Ernsthaftigkeit fehlen, die bei einem solchen Unternehmen unabdingbar sind.

Wikileaks dürfte wohl sterben, nicht aber die Idee, die zu seiner Geburt geführt hat.

4 Gedanken zu “Wikileaks am Ende? Die Idee wird überleben

  1. Die Faktengrundlage dieses Artikels stimmt nicht Bevor Wikileaks die Abstimmung zur Veröffentlichung der unzensierten Daten gemacht hat und dann die Daten veröffenticht hat, hatte Cryptome.org die unverschlüsselten und unzensierten Daten bereits am 01.09.2011 vollständig veröffentlicht.

    Cryptome gelang es, die Daten unverschlüsselt und volständig zu veröffentlichen, weil der Chef-Journalist des Guadian David Leigh, das ihm als Medienpartner von Wikileaks vertraulich ausgehändigte Passwort in einem Buch veröffentlicht hat, und die deutsche Zeitung „Der Freitag“ enthüllt hat, dass Schlüssel und verschlüsselte Daten im Internet verfügbar sind.

    Was Wikileaks dann gemacht hat, war die bereits bei Cryptome und anderswo von anderen Personen dank des vom Guardian in Buchform publizierten Passworts veröffentlichten Daten im Format von Wikileaks erneut zu publizieren.

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    1. Stimmt nur teilweise Die prinzipielle Entscheidung über die Veröffentlichung des gesamten Materials wurde bereits im November vergangenen Jahres bei einem Treffen in Ellingham Hall gefällt.Das Buch Leighs erschien erst drei Monate später. Der Plan wurde vorgestellt, alle Dokumente zu veröffentlichen, und zwar völlig unredigiert. Einige des Wiki-Teams waren strikt dagegen, andere, vor allem aber Assange, massiv dafür.

      Richtig ist, dass David Leigh das Passwort veröffentlichte. Ob seine Behauptung stimmt, er habe geglaubt, das Passwort sei nicht mehr im Gebrauch mag dahingestellt bleiben. Ich habe jedenfalls David Leigh, im Rahmen meiner Recherchen zum Putschversuch in Äquatorial Guinea, als ausserordentlich soliden und verantwortungsbewussten Journalisten kennengelernt.

      Es stellt sich darüberhinaus die Frage, wie gross die Schlamperei bei Wikileaks ist, wenn Passwörter so lange, noch dazu bei so brisantem Material, unverändert bleiben. Jedem Internet-Nutzer wird bereits empfohlen, die Passwörter regelmässig zu wechseln. Um wieviel mehr hat das bei Wikileaks zu gelten.
      Ich denke, das alles zeigt nur allzu deutlich, wie recht Daniel Domscheit- Berg hatte.

      Gruss

      Dr. v. Paleske

      Im Guardian vom 3.9. 2011 heisst es wörtlich:
      „When passing the documents to the Guardian, Assange created a temporary web server and placed an encrypted file ciontaining the documents on it. The Guardian was led to believe, this was a temporary file and the server would be taken offline after a periof of hours.

      However, formerWikiLeaks staff member Daniel Domscheit-Berg …said, that that instaed of following standard security precautions and creating a temporary folder, Assange reused WikiLeaks master password. This password was then unwittingly placed in the Guardians book on the embassy cables, which was published in Feb. 2011.

      Separately a Wikileaks acivist had placed the encrypted files on BitTorrent, a peer to peer file sharing network…..Fewer than five people knew the existence of this site. WikiLeaks then published a series of detailed tweets giving clues about, where the pssword might be found as part of of its attempts to deny security failings.

      These are believed to have led a small group of internet users to find the files, which were published in a difficult-to-acess format requiring technical skills on rival leak site Cryptome..

      Domscheit-Berg …..condemned the passwort reuse. …He (Assange) was too lazy to create something new“.

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  2. Technisches Unvermögen „Es stellt sich darüberhinaus die Frage, wie gross die Schlamperei bei Wikileaks ist, wenn Passwörter so lange, noch dazu bei so brisantem Material, unverändert bleiben.“

    Dieser Aussage liegt technisches Unverständnis zugrunde. Der Guadian hat selbst zugegeben, dass David Leigh die verschlüsselte Datei von einem Webserver abgerufen hat. Jeder, der Zugriff auf den Webserver hatte, konnte die verschlüsselte Datei ebenfalls kopieren. Der Pfad zur Datei war der breiten Öffentlichkeit unbekannt, aber jeder, der den Pfad kannte, und alle Administratoren des Webservers konnten sich eine Kopie davon ziehen. Ein nicht öffentlich genannter Pfad ist so etwas wie eine Kindersicherung, jeder talentierte Hacker kann sie, wie die zahlreichen Defacements von allerlei Webseiten von der CIA bis zum Pentagon zeigen, leicht aushebeln. Der wirkliche Schutz der Daten bestand aus der strengen Verschlüsselung der Datei. Als der Druck auf Julian Assange zunahm, hat jemand, der Zugriff auf den Server hatte, die gesamten Daten des Webservers veröffentlicht. Das ist kein Problem für die Geheimhaltung, denn dazu ist die Datei ja streng verschlüsselt gewesen. Um eine mit einem starken Passwort verschlüsselte Datei zu knacken, bedarf es der Rechenleistung aller Computer der Welt von Trillionen von Jahren. So eine verschlüsselte Datei ist sicher. Nur die Kindersicherung des nicht öffentlich deklarierten Pfades war nach der Veröffentlichung aller Daten des Webservers nicht mehr da.

    Eine Änderung der Passphrase einer verschlüsselten Datei ist nicht möglich, denn all dejenigen, die die Datei vorher kopiert haben, erreicht die Änderung nicht. Es gibt keine technische Möglichkeit, das Passwort einer bereits veröffentlichten – und kopierten – verschlüsselten Datei zu ändern. Die Daten einer gut verschlüsselten Datei sind absolut sicher in alle Ewigkeit – aber wer die Passphrase kennt, und nur der, kommt an die Daten. Wird die Passphrase öffentlich, kommt die Öffentichkeit an die Daten.

    David Leigh und der Guardian haben die unveränderbare und ewig gültige Passphrase der Daten veröffentlicht, den Schutz, der in Trillionen von Jahren nicht zu knacken gewesen wäre. Nicht Jullian Assange und Wikileaks waren es, David Leigh und der Guardian waren es. Das sind die Fakten.

    Was nun die Meinungen über die Motive und die Bewertung dieses Handelns von David Leigh und dem Guardian angeht, da kann man natürlich geteilter Meinung sein und lang diskutieren. Dummheit, Sensationslust, Überzeugung, was auch immer.

    Was die Meinungen angeht, kann man sicherlich unterschiedlicher Mienung sein. Wenn David Leigh das aus Überzeugung getan hat, und er verschwörerisch mit Julian Assange und Daniel Berg zum juristisch schwer verfolgbaren Veröffentlichen der Daten konspiriert hat, hat er meine Hochachtung. Ich finde es richtig, dass nun tausende Kollaborateure des US-amerikanischen globalen Terrorregimes namentlich bekannt sind, einschließlich der in Weißrussland aktiven US-Kollaborateure.

    Sollten der Freitag und Daniel Berg nun, nachdem die NATO mit Massenmorden am schwarzhäutigen Bevölkerungsteil einhergehend Tripolis erobert haben, urplötzich, insgeheim meine Meinung teilen, so soll es mir recht sein. Da unterscheiden wir uns, was die Meinungen angeht. Und angesichts der wie die der NATO auch auch gegen Zivilisten gerichteten Gewalttaten der libyschen Regierung erkenne ich an, dass es gute Gründe für die meiner Meinung entgegen gesetzte Position gibt.

    Aber was die Fakten angeht, so ist es nicht zu bestreiten, dass es David Leigh und der Guardian waren, die die auf ewig unveränderliche, aber auf Trillionen von Jahren sichere Passphrase ohne Not, also ohne dazu durch Folter oder ähnliche Repressionen gezwungen zu sein, veröffentlicht haben.

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    1. Vertrauen verdient? Die entscheidende Frage, um die es hier geht, sind doch nicht Technikalitäten – davon verstehen Sie sicher mehr als ich – sondern ob Julian Assange dem Vertrauen gerecht geworden ist, das in ihn gesetzt worden ist.
      Und da kann man wohl kaum noch unterschiedlicher Meinung sein.

      Die Tatsache, dass Wikileaks entschlossen war – vor dem Erscheinen von Leighs Buch – die gesamten cables unredigiert online zu setzen, spricht Bände.

      Wenn Sie sich nun freuen, dass Leute in Weissrussland festgesetzt wurden, weil sie es wegen angeblicher Zusammenarbeit mit den USA nicht besser „verdienen“, dann muss ich Ihnen allerdings blanken Zynismus vorwerfen.
      Ganz abgesehen davon, dass es in den Cables gerade auch um Personenbeurteilungen geht. Personen, die gegen die zweifelhafte Regierung Weissrusslands eingestellt und ggf.aktiv waren, aber nicht notwendigerweise mit den USA zusammengearbeitet haben, oder, noch schlimmer, deren Beurteilung falsch war.

      Wer eine Einrichtung wie Wikileaks betreibt, der muss höchsten Ansprüchen genügen, was Geheimhaltung und Sorgfalt im Umgang mit derartigen Infos angeht. Stichwort: Mit dem Schlimmsten rechnen und das Äusserste dagegen tun. Und natürlich den Informanten aber auch völlig unbeteiligten Personen höchsten Schutz zukommen zu lassen.
      Das gilt nicht weniger für die Auswahl der Mitarbeiter, die Zugang zu den hochsensitiven Infos haben.

      Assange ist dem – leider – nicht gerecht geworden.Passwort hin, Verschlüsselung her.

      MfG
      Dr.v. Paleske

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