Dr. Alexander von Paleske —- 30.7. 2013 — 60 Menschen sind gestern im Irak Opfer einer Serie brutaler Anschläge geworden, mindestens 200 Menschen wurden bei den landesweiten Bombenanschlägen verletzt.
Innerhalb von nur etwa einer Stunde explodierten alleine in Bagdad mindestens elf Autobomben in neun verschiedenen Stadtteilen. Den schwersten Anschlag verübten die Extremisten nach offiziellen Angaben in Sadr City, dem grossen schiitischen Armenviertel im Nordosten der Hauptstadt.


Bagdad, gestern 29.7. 2013 nach den Bombenanschlägen
Screenshots: Dr. v. Paleske
In den vergangenen Wochen hat, mit dem Beginn des Fastenmonats Ramadan, die Gewalt im Irak wieder deutlich zugenommen – verschwunden war sie allerdings nie seit dem Abzug der US-Truppen.
Im Juli dieses Jahres wurden bereits mehr als 670 Menschen getötet. Insgesamt starben seit Jahresbeginn mehr als 3000 durch Bombenanschläge.
Schiiten als Ziele
Ziel der Bombenanschläge waren und sind in der Regel die vorwiegend von Schiiten bewohnten Teile des Landes, und vor allem in der Hauptstadt Bagdad, aber diesmal auch in der südlich gelegenen Hafenstadt Basra, wo es bisher relativ ruhig war.
Vor einer Woche hatte die Al Qaida im Irak, wie sich diese Terrorgruppe nennt, die hinter diesen Bombenanschlägen steckt, mit einem spektakulären Angriff auf das berüchtigte Abu Ghuraib Gefängnis in Bagdad rund 500 Gefangene befreit, darunter auch etliche Al Qaida Terroristen..
Schon titelte gestern die Neue Züricher Zeitung:
„Die Kaida ist im Irak auf dem Vormarsch“
Und weiter:
„Die irakischen Sicherheitskräfte drohen den Kampf gegen die Kaida zu verlieren….im Irak seien die Extremisten erstmals seit 2006 in der Lage, ihre strategischen Ziele zu erreichen“.
Was jedoch die strategischen Ziele sein sollen, an denen sich dann messen lässt, inwieweit die Terroristen tatsächlich ihre Ziele erreichen, oder auch nicht, bleibt im Dunkeln.
Auch in der deutschen Presse finden sich keinerlei Hinweise darauf, welche strategischen Ziele die Terrorgruppe al Qaida im Irak verfolgt. Stattdessen wird von „sektiererischen Auseinandersetzungen“ gesprochen.
Was steckt dahinter, welches sind die Ziele?
Vordergründig geht es den Terroristen der al Qaida natürlich darum, die schiitische Regierung des Irak vorzuführen: als schwach, und unfähig, die Sicherheit ihrer Bürger zu garantieren.
Gleichzeitig soll mit den Anschlägen, der hohen Zahl der menschlichen Opfer, und des materiellen Schadens, die Wut der schiitischen Bewohner auf die Regierung gelenkt und geschürt werden.
Al Qaida und ihre Feinde
Aber das allein wären bestenfalls taktische Schritte, jedoch kein strategisches Ziel.
Al Qaida war und ist zunächst eine sunnitische Terrorgruppe, die ihre „Feinde“ mit Waffengewalt bekämpft, ohne Rücksicht auf das Leben Unbeteiligter.
Al Qaidas erklärte Feinde sind der „grosse Satan“, gemeint sind die USA, und natürlich Israel. Nicht weniger der Westen, als „Kreuzritter“ bezeichnet.
Gotteslästerer, die den Tod verdienen
Feinde sind ebenso die Moslems der schiitischen Glaubensrichtung.
Schiiten sind für Sunniten Moslem-Dissidenten, für Al Qaida hingegen Gotteslästerer, die den Tod verdienen.
Im Irak stellen die Schiiten mehr als 60% der Bevölkerung , zwischen 32 und 37 % sind Sunniten, vorwiegend in Sunni-Dreieck nordwestlich der Hauptstadt Bagdad.
Ziel: Errichtung eines sunnitischen Gottesstaates
Das Ziel von Al Qaida im Irak ist die Errichtung eines Gottesstaates – eines sunnitischen Gottesstaates versteht sich. Dabei gibt sich die Führung der Al Qaida-Terroristen wohl kaum der Illusion hin, sie könnte mit ihrer Bomberei schliesslich die Staatsgewalt des Gesamt-Irak übernehmen.
Ihnen geht es vielmehr um die Staatszerschlagung des Irak, und Aufteilung in einen schiitischen, kurdischen, und sunnitischen Teil.
Also die Abtrennung der vorwiegend sunnitischen Teile des Irak herbeizuführen, die sie bereits jetzt als „Emirat“ bezeichnen.
Diese Gebiete sollen dann mit den „befreiten“ sunnitischen Teilen Syriens zu einem sunnitischen Gottesstaat, einem mittelalterlichen Kalifat, zusammengeschlossen werden.
Abtrennung kein Thema
Die Zentralregierung des Irak denkt überhaupt nicht daran, eine derartige Abtrennung auch nur in Erwägung zu ziehen.
Die Al Qaida-Logik daher: Schwächung der Zentralregierung durch möglichst viele Attentate mit möglichst vielen Opfern.
Der nächste Schritt wäre dann eine Radikalisierung der Schiiten bzw. der Zentralregierung herbeizuführen, mit möglicherweise massiven Vergeltungsaktionen gegen die sunnitische Minderheit , was wiederum die Radikalisierung der Sunniten befördern würde.
Der offene Bürgerkrieg wäre dann auf der Tagesordnung. Syrien lässt grüssen.
Eine kleine radikale Minderheit
Al Qaida ist auch innerhalb der sunnitischen Bevölkerung des Irak nur eine kleine – bisher jedenfalls – aber ausserordentlich radikale, und sehr gewalttätige Minderheit. Eine Minderheit, die innerhalb der sunnitischen Bevölkerung bisher nur sehr begrenzt unterstützt wird, und die zur Zeit eine offene militärische Auseinandersetzung scheut, weil diese zu ihrer sofortigen Vernichtung führen würde.
Deshalb kann von einem „Vormarsch“ der Al Qaida Terroristen bisher auch keine Rede sein.
Rückblick
Vor dem Einmarsch der USA im Irak war Saddam Hussein, auch er ein Sunnit, am Ruder. Hussein war ein brutaler Diktator, jedoch kein Salafist. Al Qaida hatte im Irak nichts zu melden.
Religionsfreiheit und Gleichheit der verschiedenen Bevölkerungsgruppen hatten unter Saddam Hussein einen verhältnismäßig hohen Stand.
Die Behauptung der USA, dass All Qaida sich dort aufhalten würde, war, ebenso wie die Behauptung des Besitzes von Massenvernichtungswaffen, reinste Lügenpropaganda.
Erst mit dem Einmarsch der USA gelang es Al Qaida, sich im Irak festzusetzen, und zügig mit Bombenanschlägen zu beginnen, den Hass der Iraker – auch der Sunnisten – gegen die Besatzungsmacht nutzend, zumal sie nun aus der Zentralregierung – anders noch unter Saddam Hussein – verdrängt waren.
Diese Bombenanschläge richteten sich seinerzeit keineswegs nur gegen den Todfeind USA, sondern von Anbeginn an auch gegen die Schiiten, deren Moscheen und Pilgerstätten Angriffsziele für ihren Bombenterror waren.
Die nach dem Abzug der US-Truppen und freien Wahlen gebildete irakische Regeirung hätte von Anfang es sich zum Ziel setzen müssen, die Sunniten in die Regierungsverantwortung angemessen einzubinden, und damit Al Qaida das Wasser abzugraben.
Keine Regierungsmitverantwortung und die Folgen
Das ist jedoch nicht geschehen, im Gegenteil: Die wenige Regierungsverantwortung, welche den Sunniten geblieben war, wurde beseitigt, deren einflussreicher Repräsentant Tarek_al-Haschemi wegen angeblicher Beteiligung an Bombenattentaten bzw. Mordanschlägen strafrechtlich verfolgt. Er floh ausser Landes.
Damit hatte Al Qaida zumindest die Duldung ihrer Präsenz innerhalb der sunnitischen Gebiete erreicht.. Die Sunniten misstrauten nun den Sicherheitskräften der Regierung, und gaben keine Hinweise auf die Terroristen-Schlupflöcher.
Der Bürgerkrieg in Syrien hat zusätzlich dazu geführt, dass irakische Sunniten und Terroristen auf der Seite der Rebellen sich an den Auseinandersetzungen beteiligten, Schiiten hingegen auf der Seite Assads in den Bürgerkrieg eingriffen.
Ab ins Chaos
Aufgabe der irakischen Regierung sollte sein, das Versäumnis der Regierungsbeteiligung der Sunniten zu korrigieren, Vertrauen herzustellen, und Mitarbeit einzufordern.
Für eine derartige notwendige Politikänderung gibt es jedoch zur Zeit keine Anhaltspunkte.
So steuert der Irak weiter ins Chaos und möglicherweise in einen offenen Bürgerkrieg, wie in Syrien.
Al Qaida hätte dann ein Etappenziel erreicht.
Schlachthaus Syrien – Chaospolitik des Westens
Die Salafisten wollen an die Macht – oder: hat der Herbst des arabischen Frühlings schon begonnen, oder gar der Winter?














Weder wurden demokratische Strukturen geschaffen, die diesen Namen verdienen – das geht ohnehin nur mit der Bevölkerung, aber nicht ohne bzw. gegen sie



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